Geschichte

Es ist mittlerweile mehr als 40 Jahre her, dass die Filmwerkstatt Münster – damals als gemeinnütziger Verein „Filmgruppe Münster e.V.“ ins Amtsregister eingetragen wurde. Aus den „Leuten, die Filme machen wollen“ ist ein Verein mit vielen Mitgliedern, Aufgaben und Angeboten erwachsen – der Kern ist geblieben: Die Förderung der Filmkultur in der Region. Der Verein heisst nun Filmwerkstatt Münster e.V.

JUMP CUT: 30 Jahre Filmwerkstatt (2011)

Wie alles anfing – 1980er Jahre

1981: Helmut Schmidt ist Bundeskanzler, Margarethe von Trotta wird als erste Filmemacherin für „Die Bleierne Zeit“ mit dem Goldenen Löwen in Venedig ausgezeichnet und im Ruhrgebiet dreht Adolf Winkelmann „Jede Menge Kohle“.

Im Pumpenhaus in Münster kommen sieben Student*innen der Kunstakademie zusammen. Sie wollen Filme machen. Doch die Filmwelt ist noch analog, das heißt teuer. Was tun? Am 18. Mai 1981 gründen sie die Filmwerkstatt (damals Filmgruppe). Der Gründung folgen Taten: Mehr als ein Dutzend Produktionen entstehen in den ersten Jahren. Aber wie finden die Filme ihr Publikum? Die Zahl der Kinos ist zwar hoch, aber auf die Leinwände schaffen es meist nur die großen Filme der Major-Studios. Das Fernsehen zeigt nur drei Programme, Filmkunst findet dort kaum statt. Eine Abspielfläche muss her. So bringt die Gründergeneration noch im selben Jahr ein eigenes Filmfestival auf den Weg, die Filmzwerge – das bis heute älteste Wettbewerbsfestival in Westfalen.

Strukturen entstehen – 1990er Jahre

Anfang der 90er erweitert sich der Kreis der Techniktüftler*innen und Filmkünstler*innen. Durch zwei ABM-Stellen können hauptamtliche Strukturen etabliert werden. Es gelingt, eine feste Förderung (bei der Stadt Münster und später auch beim Land NRW) für die wachsenden Aufgaben der Filmwerkstatt einzuwerben.

Neben den Filmproduktionen und dem Filmfestival wird ein drittes Standbein aufgebaut. Namhafte Regisseur*innen wie Peter Greenaway, Carlos Saura und Ulrike Ottinger kommen nach Münster, um über ihre Arbeit zu sprechen. Aufmerksam lauschen und diskutieren junge Filmschaffende wie Tom Tykwer und Thomas Kufus, die damals ihre ersten Filmversuche machen und heute den deutschen Film maßgeblich mitbeeinflussen. Aus den Gesprächen mit Regisseur*innen entwickelt sich ein regelmäßiges Seminarprogramm. Zu dieser Zeit übernimmt Winfried Bettmer die Leitung der Filmwerkstatt und wird sie mehr als zwei Jahrzehnte prägen.

Filmwerkstatt-Seminar mit Peter Greenaway

Etablierung und Vernetzung – 2000er Jahre

Mit der zunehmenden Etablierung erfolgt die immer stärkere Vernetzung. Die Filmwerkstatt wird wichtige Partnerinstitution zahlreicher Kulturakteur*innen und sozialer Bewegungen der Stadt, vernetzt sich überregional und international. Im Rahmen der deutsch niederländischen Stiftung film|spiegel entsteht ab 2000 ein intensiver und langjähriger Austausch mit Filmschaffenden und Kurator*innen in den Niederlanden. Filmpolitische Arbeit wird ein immer wichtigerer Bestandteil der Vereinsarbeit.

Zusammen mit dem renommierten Regisseur Peter Lilienthal produziert die Filmwerkstatt den Dokumentarfilm CAMILO – Der lange Weg zum Ungehorsam, der nach seiner Kinoauswertung bei arte ausgestrahlt wird. Der Film steht in der Tradition des Autor*innendokumentarfilms, der auch in der Masterschool Dokumentarfilm vermittelt wird. Dieses Angebot bildet seither ein Kernstück des Seminarprogramms.

Digitale Filmproduktion – 2010er Jahre

War für die Gründergeneration der Erwerb von Produktionsmitteln noch essentiell, wird das Filmemachen durch die Digitalisierung immer erschwinglicher. Der Kreis der Filmschaffenden wird immer größer. Neben Kino und Fernsehen wird das Internet zum zentralen Abspielort von Bewegtbild. Die Zahl derer, die nicht nur Film konsumieren, sondern selbst zum „Sender“ werden, nimmt extrem zu. Entsprechend wandelt sich auch die Rolle der Filmwerkstatt weiter. Neben dem Seminarprogramm nimmt die Projektberatung eine zunehmend wichtige Position ein.

Nach wie vor produziert die Filmwerkstatt aber auch eigene Werke, wie z.B. Die Kaffeekantate von Julian Isfort oder den Dokumentarfilm Die Berkel von Anna Schlottbohm und Willem Kootstra. Es entstehen nicht nur narrative Filme, sondern auch installative Filmarbeiten, die u.a. bei dem Festival Flurstücke gezeigt werden, das alle vier Jahre Münsters Straßen mit performativen Künsten belebt.

Von den Filmzwergen zum Filmfestival Münster

Im September 2021 findet das 19. Filmfestival Münster statt – 40 Jahre nach der ersten Ausgabe, die damals noch unter dem Namen Filmzwerge starteten. Dass diese Zahlen auf den ersten Blick nicht ganz zusammenpassen, liegt an der bewegten Geschichte des Festivals, die insbesondere in der Anfangszeit von Turbulenzen und Finanzierungsproblemen geprägt war.

1997 wird der Name Filmfestival Münster eingeführt und zeitgleich der biennale Rhythmus, der bis heute besteht. Nach einigen Jahren auf Wanderschaft durch die Kinos der Stadt kehrt das Festival 2017 ins Schloßtheater zurück. Mit der Zeit entwickelt sich das Programm stets weiter, wird europäischer und zugleich regionaler. 2005 wird neben dem Kurzfilmprogramm auch ein Spielfilmwettbewerb etabliert. Der Fokus auf den Nachwuchs und auf Independent-Filme prägt das Festival bis heute. In Deutschland einzigartig ist der Niederlande-Schwerpunkt.

Prominente Gäste, Film und Poesie

Zahlreiche prominente Filmschaffende, wie Johanna ter Steege, Theo van Gogh, Rutger Hauer, Liv Lisa Fries, Robby Müller uva., sind über die Jahre beim Filmfestival in Münster zu Gast und prägen das älteste Wettbewerbsfestival in Westfalen nachhaltig mit.

2016 und 2018 veranstaltet die Filmwerkstatt das ZEBRA Poetry Film Festival im Schloßtheater Münster und gibt diesem weltweit größten Festival für Poesiefilme eine Plattform, bevor es wieder nach Berlin wechselt. Aus der künstlerischen Verschränkung von Bild und Text sowie der Idee, diesen Beziehungsreichtum in einem größeren Rahmen zu fassen, ist schließlich das LITFILMS Literatur Film Festival Münster entstanden. Im Herbst 2020 feiert es seine Premiere und sorgt als deutschlandweit erstes Festival, das sich explizit den vielfältigen filmischen Adaptionen literarischer Texte widmet, gleich für gute Resonanzen. In Zukunft wechseln sich das Filmfestival Münster und das LITFILMS jährlich ab.

Regelmäßiges Film- und Veranstaltungsprogramm

Der filmclub münster wird bereits am 11. Juni 1948 als Filmclub der britischen Besatzungszone gegründet. Damit ist er der älteste noch existierende Filmclub Deutschlands. Er erreicht schnell mehr als tausend Mitglieder, die sich regelmäßig im Kino treffen und über Filme diskutierten. In den 70er Jahren steigen die Volkshochschule, der Westfälische Kunstverein und der AStA der Uni Münster ein und kuratieren ein Repertoire-Programm abseits des Mainstreams.1995 übernimmt die Filmwerkstatt zusammen mit den Münsterschen Filmtheater-Betrieben die Federführung. Neben dem politischen und filmhistorischen Fokus bilden feste Reihen, wie die Russischen Filmtage, Schwerpunkte mit internationalen Erstaufführungen.

Auch außerhalb des Kinos ist die Filmwerkstatt kuratorisch tätig. Seit 2011 veranstaltet sie gemeinsam mit dem Theater im Pumpenhaus, der Kunsthalle Münster und dem Theater Titanick das internationale Flurstücke Festival.

Ausbildung und Qualifizierung von Filmemacherinnen

Viele Wege führen zum Film, die meisten sind lang und steinig. Die Filmwerkstatt war und ist auf diesem Weg für viele ein wichtiger Begleiter. Sie bietet eine wunderbare Gelegenheit, sich auch außerhalb der Filmhochschulen zu qualifizieren, Netzwerke aufzubauen und weitere Schritte in die Filmwelt zu gehen. Das Angebot reicht vom Eintagesseminar bis hin zu langen Werkstätten.

Ein zentraler Baustein ist seit über 20 Jahren die Masterschool Dokumentarfilm unter der Leitung von Horst Herz. Die Teilnehmenden kommen aus der ganzen Welt für drei Wochen nach Münster, um ihre Kinodokumentarfilme zu entwickeln – eine Filmklasse, aus der zahlreiche erfolgreiche und prämierte Filme hervorgegangen sind.

Bei der New Film Generation werden Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene angesprochen. Das neue Label fördert den Nachwuchs und rückt Filmbildung weiter in den Fokus.

Filmemachen in der Filmwerkstatt

»Ton läuft! Kamera läuft! Und Bitte!« Filmproduktionen sind seit 40 Jahren einer der zentralen Bausteine der Filmwerkstatt. Dabei hat sich im Laufe der Zeit ein immenser Fundus an Filmtechnik angesammelt: von professionellen 4K-Vollformat-Kameras bis hin zu der alten Arri-SR-16mm-„Mühle“, vom hochwertigen digitalen Schnittplatz zum alten „Steenbeck Tisch“.

Auch wenn Film mittlerweile vorwiegend digital produziert wird, bietet die Filmwerkstatt bis heute auch analoge Filmtechnik und damit Möglichkeiten, die nicht nur von Nostalgiker*innen geschätzt werden. Ganz im Sinne der ersten Generation unterstützt die Filmwerkstatt mit ihren technischen Geräten künstlerische Filmprojekte. Daneben berät und betreut sie Filmschaffende bei ihren Vorhaben. Mehrere hundert Kurz- und Langfilme sind so mit Hilfe der Filmwerkstatt entstanden. Nicht wenige davon werden auf Festivals in der ganzen Welt gezeigt und prämiert.

Der Verein als Fundament

Gesellschaftliche, vor allem aber technisch digitale Prozesse haben die Filmwelt und die Filmwerkstatt in den letzten 40 Jahren stark verändert. Neben allem Wandel bleiben wichtige Konstanten. Bis heute ist die Filmwerkstatt ein gemeinnütziger Verein, der von den Impulsen und dem Engagement ihrer Mitglieder – Filmschaffende und Cineast*innen – sowie einem festen Team getragen wird. Sie ist ein Ort, der dem Nachwuchs zahlreiche Möglichkeiten bietet und damit Chancen eröffnet, eigene Projekte zu realisieren und Anschluss an die überregionale und internationale Filmszene zu erlangen. Zugleich finden renommierte Filmschaffende aus der ganzen Welt durch die Filmwerkstatt den Weg nach Münster.

Begann der Verein als eine „Selbstausbildungsmaschine“, richten sich die zahlreichen Angebote heute an ein breites Publikum. Gut aufgestellt blickt die Filmwerkstatt Münster zum vierzigjährigen Jubiläum in die Zukunft – ein gutes Alter für neue Herausforderungen und Impulse.